Am Donnerstag bestreitet die Schweiz ihren WM-Viertelfinal gegen Deutschland. Cheftrainer Sascha Brendler zieht vorher eine erste Zwischenbilanz.
Für das Schweizer Team heisst es am Mittwoch umziehen: Vom WM-Spielort Brno geht es mit dem ganzen Unihockey-Tross für die Finalspiele nach Ostrava. Am Donnerstagabend steht dort in der 10'000 Zuschauer fassenden CEZ Arena der Viertelfinal gegen Deutschland an.
Vor dem Umzug hat Cheftrainer Sascha Brendler sich die Zeit genommen, um mit uns eine erste Zwischenbilanz zu ziehen und auf die kommenden Tage vorauszublicken.
Sascha Brendler – drei Spiele, drei Siege. Wenn man nur aufs Papier schaut, müsstest du als Trainer wunschlos glücklich sein. Ist dem so?
Sascha Brendler: Wunschlos glücklich bin ich nicht. Wir haben an der Euro Floorball Tour in Göteborg anfangs November sicher ein höheres spielerisches Level gehabt und das fehlt im Moment noch. Aber wir sind besser, als wir es in der Vergangenheit waren. An der EFT in Schweden haben wir nach unserem Trainingslager ein Level gesetzt, indem wir andere Nationen während 40 Minuten an die Wand gespielt haben. Und diese Gegnerinnen waren Weiss und Blau angezogen. Unsere Spielerinnen messen sich selber heute an dieser Marke. Und die haben wir noch nicht ganz erreicht. Darum sind wir jetzt auch nicht ganz zufrieden. Doch wir werden versuchen, dies in den nächsten Tagen aufzuholen.
Eigentlich tat man sich in allen drei Spielen über längere oder kürzere Phasen sehr schwer. Woran lags?
Wir haben eingespielte Linien. Diese Linien spielen jetzt schon länger zusammen, genau genommen seit dem Polish Cup im September. Auch nach dem letzten Cut war es so, dass wir keine grossen Änderungen mehr vorgenommen haben. Die ersten beiden Linien spielen sogar schon länger zusammen, nur Violetta Vögeli fehlt leider (wegen einem Kreuzbandriss, Anm. d. Red.). Wir haben in Spiel 1 und Spiel 3 doch immer wieder Änderungen gemacht und andere Spielerinnen eingesetzt, die für diese Rolle speziell vorgesehen sind. So können gewisse Akteurinnen auch mal eine Pause einlegen. Das ist wichtig im Hinblick aufs kommende Wochenende. Das bedeutet aber auch jedes Mal, dass die Linie nicht mehr richtig eingespielt ist. Und bei uns sind Automatismen wichtig, jede muss wissen, wo sie läuft und wo sie steht. In der Nationalmannschaft haben wir nicht so viel Zeit wie im Klub. Deshalb dauert es jeweils etwas länger, bis die Automatismen wieder funktionieren. Ich möchte aber betonen, dass es für die Spielerinnen, die das machen müssen, eine wirklich schwere Aufgabe ist. Die müssen sechs Positionen kennen, sechs verschiedene Auslösungen und sechs verschiedene Freistoss-Varianten pro Seite, also links und rechts. Das ist eine Mammut-Aufgabe. Und sie lösen diese sehr, sehr gut und wir sind sehr zufrieden mit ihnen. Aber der Automatismus ist eben ein anderer und deshalb dauert es manchmal etwas länger.
Kritiker könnten jetzt einwenden, dass ein Trainingslager zur WM-Vorbereitung besser gewesen wäre als der Road Trip. Was entgegnest du da?
Dass wir eigentlich ein Trainingslager gehabt haben. Wenn du an eine WM gehst, musst du vorbereitet sein. Und ich gehe davon aus, dass das die anderen auch sind. Den Kritikern entgegne ich, dass die Finninnen gegen Polen im letzten Gruppenspiel auch 40 Minuten lang „geknorzt“ haben. Und die haben kurz vor der WM ein Trainingslager gehabt. Die entscheidenden Tage kommen jetzt. Wir müssen den Feinschliff holen, die Basis ist schon seit Längerem gelegt. Jetzt müssen wir einfach die technische Sicherheit wieder erlangen. Obwohl diese wirklich schon jetzt höher ist, als sie bei den meisten Spielerinnen jemals war.
Du hast den Achtelfinal zwischen Deutschland und Russland live verfolgt. Was für Schlüsse hast du bezüglich eurem Viertelfinal-Gegner Deutschland gezogen?
Grundsätzlich bin ich zuerst einmal froh, dass es Deutschland ist und nicht Russland. Denn wir haben im Juli in Frankfurt Länderspiele ausgetragen. Damals haben mich Spielerinnen gefragt, ob sie wirklich mitkommen müssen, schliesslich sei es Sommer. Und ich habe erwidert, dass alle mitkommen, die nicht in den Ferien sind. Mir war damals schon klar, dass Deutschland ein möglicher Viertelfinalgegner von uns sein könnte. Und ich wollte vorher gegen die gespielt haben, um einen Eindruck zu bekommen. Fakt ist einfach, dass die Deutschen einen Schweizer Trainer haben, sogar einen ganzen Staff gespickt mit Schweizern. Und für sie ist das Spiel gegen uns der Final, das ist einfach so. Aber es ist ganz klar: Es gibt nur einen Favoriten und das sind wir. Nicht Deutschland. Bei ihnen können die Emotionen etwas helfen. Bei uns sind es die Cleverness und die Ruhe. Wir dürfen uns einfach nicht in irgendetwas verwickeln lassen, was wir nicht sind. Dann stellt sich nicht die Frage, ob wir den Match gewinnen oder nicht. Aber es kann immer alles passieren in einem Viertelfinal. Schliesslich ist es nicht ein Spiel um Rang 15 oder 16.
Was müssen die Schweizerinnen für den Viertelfinal oder die folgenden Finalspiele verbessern?
Ohne Arrogant wirken zu wollen: Für den Viertelfinal muss das Niveau reichen. Ich erhoffe mir aber, dass wir gegen Deutschland offensiv viel Zeit haben, damit wir den Ball über mehrere Stationen direkt laufen lassen können. Dann haben wir die Sicherheit, dass wir es auch hin einem Spiel können. Das ist gegen eine Mannschaft, die auf dem Papier eigentlich nicht so stark ist, fast noch schwieriger als gegen eine gute. Man hat mehr Platz und das verleitet dazu, den Ball anzunehmen, zwei Sekunden zu überlegen und ihn erst dann weiterzuspielen. Wir müssen uns gegen Deutschland die Abläufe verinnerlichen, damit dies nicht passiert. Die Bälle müssen über fünf, sechs, sieben Stationen direkt laufen und dann muss ein Abschluss kommen, der Slot muss besetzt sein und es muss es einfach „räble“. Das ist das Ziel für den Viertelfinal. Es muss ein klares Resultat geben.
Habt ihr diese Tage in den Trainings auch daran gearbeitet?
Ja. Ich habe am Montagabend im Training (nach der Partie gegen Norwegen, Anm. d. Red.) gesagt: Ich weiss, niemand steht jetzt gerne da, weder die Spielerinnen, noch die Trainer, noch die anderen Staff-Mitglieder. Es ist schwierig, wenn du nach deinem letzten Gruppenspiel nach Hause gehst, isst und dann gleich wieder in den Bus einsteigst fürs Training. Aber es ist ein neuer Start. Wir haben am Montag nur Passübungen gemacht. Passen, passen, passen und danach abschliessen, abschliessen, abschliessen. Das üben wir jetzt drei Tage lang. Daher hoffe ich, dass wir am Wochenende auch die nötige Sicherheit haben.
Wie steht es um die Energie der Spielerinnen? Gibt es Angeschlagene?
Erstaunlicherweise ist das Energie-Level relativ hoch. Das hat sicher auch mit der Wahl des Hotels zu tun. Die Spielerinnen haben hier die Möglichkeit, die Batterien wieder aufzuladen. Wir blieben deshalb auch extra einen Tag länger hier. Am Dienstag war ein reiner Behandlungstag für die, die es brauchten. Es hat zudem eine schöne Wellness-Anlage hier. Ich habe der Mannschaft gesagt: Wir sind nicht zum Ferien machen da, aber es ist ideal um die Batterien wieder aufzuladen. Wir sind Abseits vom Trubel. Zwei, drei gingen auch in die Stadt, aber die meisten blieben hier um sich behandeln zu lassen. Deshalb glaube ich, dass wir am Donnerstag alle wieder bei Kräften sind.
Bestand keine Gefahr von Lagerkoller, wenn man so abseits logiert?
Das weiss man natürlich nie. Bis jetzt gibt es ihn nicht. Wir haben aber auch einen idealen Spielplan. Am Dienstag gab es nach dem Mittagessen Freizeit für die Spielerinnen. Es musste niemand im Hotel bleiben. Die Spielerinnen konnten machen, was sie wollten. Sie mussten einfach um 24 Uhr zurück sein. Ich habe keine Ahnung, was sie gemacht haben. Und ich will es auch nicht unbedingt wissen. Wenn es einen kleinen Lagerkoller gegeben haben sollte, ist der seit Dienstagabend wieder weg.
Was für einen Eindruck hast du von den Finninnen und Schwedinnen, die sich im weiteren Turnierverlauf zwangsläuft der Schweiz in den Weg stellen werden?
Fangen wir mal mit den Finninnen an, auf die werden wir als erstes treffen. Ich bleibe bei meiner vor der WM gemachten Aussage: Wir sind mit Finnland mindestens auf Augenhöhe – wenn wir unser technisches Level von Göteborg wieder erreichen. Das wird einen grandiosen Halbfinal geben. Wir sind nicht unbedingt der Favorit, aber wir verstecken uns nicht und haben auch keine Angst. Wir wissen, dass wir sie schlagen können und wir haben bewiesen, dass wir sehr nahe dran sind. Ausserdem haben wir sicher noch das eine oder andere auf Lager, was sie noch nicht wissen. Wir müssen abwarten. Ob es reicht oder nicht, das ist Makulatur im Moment. Das weiss man nicht. Es wird sicher sehr ausgeglichen sein.
Die Schwedinnen, sollte es dann Schweden sein am Sonntag, sind halt schon immer noch zwei, drei Klassen besser. Aber – und das ist jetzt ein Spruch fürs Fünf-Franken-Kässeli – in einem Spiel kann viel passieren. Wir schauen einfach, dass wir unser Bestmögliches geben. Das ist unser Ziel für den Sonntag. Auch wenn es Tschechien sein sollte. Es ist dann ja nicht so, dass wir auf einen einfachen Gegner treffen – wie wir ja seit letztem Wochenende wissen. Dann muss einfach das Top-Level erreicht sein und wir werden mit einer Medaille nach Hause fahren. Die Frage ist einfach, in welcher Farbe sie leuchtet.
Woran liegt es deiner Meinung nach, dass zwischen Schweden und all den anderen ein solch grosser Unterschied besteht?
Nehmen wir zum Beispiel Mora. Wir waren dort im Trainingslager. Da spielen in dem Verein 42 neun- bis zehnjährige Mädchen, wovon 20 in ein Gymnasium gehen. Diese trainieren am Montag, Dienstag und Donnerstag am Vormittag und zusätzlich noch zweimal abends mit dem Verein. Wir haben ein Training gesehen. Es ist schon nicht so, dass man sagt: Wow, die sind alle super! Aber sie spielen Grossfeld und haben 22 Leute zur Verfügung – 2 Goalies und 20 Feldspieler. Bei uns in der Schweiz sind es in dem Alter vielleicht sieben oder acht Mädchen, die einmal pro Woche in einer Kleinfeldhalle für eine Stunde trainieren. Das ist der Unterschied. Die Schwedinnen fangen einfach früher an, die Trainer können auswählen und wenn eine Spielerin wirklich einmal die oberste Liga erreichen will, muss sie einfach viel mehr machen. Das ist bei uns leider nicht der Fall, bei uns ist man relativ schnell in der Nationalliga A. Deshalb ist es für uns auch immer eine riesige Umstellung, wenn wir solche Spiele spielen. Unsere Spielerinnen sind sich auch oftmals gar nicht bewusst, wie gut sie sind. Sie machen sich manchmal schlechter, als sie wirklich auf dem Spielfeld performen.
In Mora haben sie zudem eine eigene Halle, die gehört dem Verein. Der Verein vermietet die Halle und sagt, wer da reingeht. Es ist nicht die Stadt, die sagt, ihr bekommt jetzt auch noch zwei Stunden Hallenzeit. Es ist der Verein, der der Stadt sagt, ihr habt jetzt noch zwei Stunden Hallenzeit für jemanden anderes. Wir hatten dort ein Trainingslager, wie man es sich nur wünschen konnte. Der Verein Mora hätte uns die Halle 24 Stunden zur Verfügung gestellt, wenn wir das gewollt hätten. Selbst die erste Mannschaft hätte das Training verschoben. Wir haben das natürlich dankend abgelehnt. Aber wir hatten trotzdem ideale Voraussetzungen.
Der Unterschied ist: Die Schwedinnen beginnen früher und haben dadurch mehr Trainings absolviert, wenn sie 20 Jahre alt sind. Das kann man ausrechnen: Die Mädchen in Schweden trainieren fünfmal, unsere trainieren einmal. Auf die Jahre hochgerechnet gibt das einen riesigen Vorsprung. Ob man es wahrhaben will oder nicht. Es ist immer die Anzahl Trainings in jungen Jahren, die entscheiden, wie gut man am Ende ist. Natürlich gibt es auch Ausnahmetalente, aber davon hat man nicht gerade in jedem Jahrgang 20 Stück. Solange wir nicht dorthin kommen, werden die Schweden uns immer einen Schritt voraus sein. Trotzdem wird irgendwann einmal der Tag kommen, an dem sie nicht das Top-Level erreichen und dann – und das sage ich meiner Mannschaft immer wieder – möchte ich nicht nach dem Spiel in der Garderobe einsehen müssen: Heute haben die anderen das Level nicht gehabt, aber wir auch nicht. Wir müssen bereit sein und sie müssen ein wenig schlechter sein – dann kann immer etwas passieren.
Was für einen Eindruck hast du bisher von der Organisation des Turniers?
Bis jetzt bin ich eigentlich positiv überrascht. Es ist eine gute Organisation für uns. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir den eigenen Bus dabei haben. Ich weiss es nicht. Im Gegensatz zur EFT im Frühling ist es heute schon etwas anders. Damals hat man gemerkt hat, dass man uns nicht gerade willkommen hiess. Vielleicht gibt es jetzt vom IFF klarere Regeln. Aber es ist zumindest nicht mehr so, dass wir in Trainingshallen zuerst einmal das Tennis-Feld selber abräumen müssen oder dass man uns zehn Minuten vor dem Training sagt, die Halle sei nun doch besetzt.
Wir waren jetzt auch relativ weit von allem entfernt, rund 20-30 Minuten. Darum bekommen wir auch nicht alles mit. Wir fahren zur Halle, machen unser Ding und gehen wieder nach Hause. Für uns stimmt es hier. Es ist alles Rot-Weiss – auch die gesamte Garderobe. Wir wollen einfach überall, wo wir hingehen zu Hause sein. Es ist egal, was rundherum passiert.